Die Entwicklung der Zeugnissprache: Eine Reise durch die Geschichte deutscher Arbeitszeugnisse
Wie ist das deutsche Arbeitszeugnis entstanden und warum ist die Zeugnissprache so besonders?
Ein Blick in die Geschichte zeigt, wie sich die Funktion, der Stil und die Bedeutung von Arbeitszeugnissen und ihrer Sprache über die Jahrhunderte gewandelt haben.
Die Anfänge: „Atteste für ordnungsgemäßes Ausscheiden“ im 16. Jahrhundert
Bereits im 16. Jahrhundert wurden in Deutschland erste Formen von Arbeitszeugnissen ausgestellt. Damals waren es sogenannte Atteste für ordnungsgemäßes Ausscheiden, mit denen Dienstherren bestätigten, dass ihre Knechte korrekt und mit Zustimmung ausschieden.
Ohne solch ein Attest durfte niemand im Handwerk oder im Gesindewesen beschäftigt werden. Gleichzeitig bestand die Verpflichtung, ein solches Dokument auszustellen.
Das Dienstbotenbuch: Standardisierung ab dem 19. Jahrhundert
Mitte des 19. Jahrhunderts wurde die Praxis formalisiert – insbesondere in Preußen.
Im sogenannten Gesinde-Dienstbuch (auch Dienstbotenbuch genannt) war der Dienstherr verpflichtet, ein Zeugnis über Führung und Verhalten des Arbeitnehmers einzutragen. Dieses Buch musste vor jedem neuen Dienstantritt der Polizei vorgelegt werden.
Interessant:
Wer schlechte Bewertungen vermeiden wollte, beantragte einfach ein neues Gesindebuch und dokumentierte dort die letzten zwei Jahre mit positiver Führung (Fleiß, Ehrlichkeit, sittliches Betragen). Die Polizei beglaubigte damals die Einträge.
1900: Das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) schafft erstmals Rechtsklarheit
Mit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches am 1. Januar 1900 gab es erstmals eine bundesweit einheitliche Regelung zum Arbeitszeugnis.
Ab diesem Zeitpunkt hatten alle Arbeitnehmer Anspruch auf ein qualifiziertes Zeugnis, das Leistung und Führung beschreibt. Ziel war eine objektive Informationsquelle für neue Arbeitgeber, wobei der Fokus zunehmend auf die Arbeitsleistung statt ausschließlich auf das Verhalten gelegt wurde.
Wandel der Zeugnissprache: Vom Schutz des Arbeitgebers zum Schutz des Arbeitnehmers
Ursprünglich dienten Atteste und Zeugnisse vor allem dem Schutz der Arbeitgeber: Sie sollten sicherstellen, dass neue Mitarbeiter zuverlässig und vertrauenswürdig waren. Entsprechend herrschte ein distanzierter, hierarchischer Ton.
Mit der Zeit setzte sich jedoch der Grundsatz des Wohlwollens durch. Im 18. Jahrhundert entstand die Idee, den Arbeitnehmer vor unfairen Beurteilungen zu schützen. Dies wurde durch die Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (1869), später die Gewerbeordnung des Deutschen Reiches (1891) und heute §109 (2) GewO gesetzlich verankert.
Bis heute gilt:
Zeugnisse müssen wohlwollend, aber auch wahrheitsgemäß formuliert sein.
Moderne Zeugnissprache: Formalisierung und Individualisierung ab dem 20. Jahrhundert
Auch wenn sich die gesetzlichen Vorgaben kaum verändert haben, hat die Zeugnissprache in den letzten 100 Jahren eine spannende Entwicklung genommen:
- Bis in die 1970er:
Arbeitszeugnisse waren oft sehr formelhaft und schwer zu entschlüsseln. - Seit den 1970ern:
Öffentliche Debatten führten zu mehr Standardisierung und zur Entwicklung von speziellen Zeugnisformulierungen. Gleichzeitig blieb Raum für individuelle Bewertungen – besonders bei Führungspositionen oder qualifizierten Fachkräften.
Heute gibt es zahlreiche Ratgeber und Gerichtsurteile zur richtigen Zeugnissprache. Kein Wunder: In Deutschland beschäftigen sich jährlich über 30.000 Gerichte mit Streitfällen rund ums Arbeitszeugnis!
Fazit: Die Bedeutung der Zeugnissprache bleibt
Arbeitszeugnisse sind heute wichtiger denn je.
Sie dienen nicht mehr der Disziplinierung, sondern der fairen, nachvollziehbaren und wohlwollenden Bewertung der Mitarbeiter. Das Verständnis für die Entwicklung der Zeugnissprache hilft sowohl Arbeitgebern als auch Arbeitnehmern, die Bedeutung und die „Geheimcodes“ moderner Zeugnisse besser einzuordnen.
Tipp:
Lassen Sie Ihr Arbeitszeugnis immer auf unzulässige Formulierungen und die Gesamtbewertung prüfen!
Quellen:
- Wohlwollensgrundsatz: Gesetzgebung ab dem 18. Jahrhundert
- Gewerbeordnung des Norddeutschen Bundes (1869)
- Gewerbeordnung des Deutschen Reiches (1891)
- Bürgerliches Gesetzbuch (seit 1900)