Enthüllt: Die geheimen Techniken und Regeln hinter der Zeugnissprache
Die Formulierung von Arbeitszeugnissen nutzt vielfältige Techniken, um die eigentliche Bewertung der Leistung zu verschleiern. Dabei geht es nicht nur um die sprachlichen Ausdrücke und die Auswahl der Textinhalte, sondern auch um die Gesamtdarstellung des Arbeitszeugnisses. Diese Techniken und Regeln haben sich im Verlauf der letzten hundert Jahre entwickelt. In diesem Artikel werden wir aufzeigen, welche Techniken existieren, wie man sie erkennt und erfolgreich anwendet.
Positivskala
Die Positivskala repräsentiert eine grundlegende Technik in der Zeugnissprache. Hierbei werden grundsätzlich alle Sätze in der Zeugnissprache positiv formuliert, wobei die Intensität der Positivität entscheidend ist. Diese Praxis resultiert aus gesetzlichen Anforderungen und diversen Gerichtsentscheidungen der vergangenen Jahrzehnte. Die Verpflichtung zur wohlwollenden und wahrheitsgemäßen Erstellung von Arbeitszeugnissen hat dazu geführt, dass wohlklingende, positiv formulierte Bewertungstexte verwendet werden, die jedoch in Relation zueinander abgestuft sind. Dies ermöglicht eine wahrheitsgemäße Beurteilung, die gleichzeitig wohlwollend interpretiert werden kann.
Die Positivskala wird anhand der folgenden Beispiele verdeutlicht:
Die Lern- und Arbeitsweise von Herrn Mustermann war gut. Arbeitsweise Note 3
Das Wort "gut" wird im allgemeinen Sprachgebrauch verwendet, um Lob auszudrücken, und wird automatisch mit der Schulnote 2 assoziiert. In der Zeugnissprache bedeutet dieser Satz jedoch nur eine durchschnittliche Bewertung der Arbeitsweise (Note 3), da er noch zweifach gesteigert werden kann.
Beispiele dafür sind
- Die Lern- und Arbeitsweise von Herrn Mustermann war stets gut. Arbeitsweise Note 2
- Die Lern- und Arbeitsweise von Herrn Mustermann war stets sehr gut." Arbeitsweise Note 1
Der erste Satz spiegelt in diesem Fall die Note 2 wider, da eine zeitliche Komponente hinzugefügt wurde, die zeigt, dass die Leistung des Mitarbeiters zu jeder Zeit gut war. Der untere Satz wird mit der Note 1 übersetzt, da zusätzlich zu dem Temporaladverb eine weitere Steigerung eingebaut wurde. Bei der Note 1 werden hauptsächlich Superlative wie herausragend, äußerst oder absolut verwendet, um die maximale Steigerung zu erreichen.
Dieses Beispiel zeigt bereits, dass ungeübte Leser von Arbeitszeugnissen Schwierigkeiten haben, die wahre Bedeutung einzelner Bewertungen zu verstehen. Selbst dieses einfache Beispiel kann noch komplizierter werden:
Beispiel
Die Lern- und Arbeitsweise von Herrn Mustermann war sehr gut. Arbeitsweise Note 2
In diesem Fall liegt die maximale Steigerung vor, was auf die "sehr gute" Note 1 hinweist. Jedoch fehlt der Zusatz, dass die Leistung ausnahmslos sehr positiv war, wodurch eine Abstufung auf die Note 2 notwendig ist.
Dieses kurze Beispiel verdeutlicht, warum die in Arbeitszeugnissen angewendete Positivskala dazu führt, dass jeder Satz im Verhältnis zu anderen Sätzen bewertet werden muss. Eine positive Tonalität allein erlaubt keine vollständige Beurteilung der Zeugnissätze, was es für Laien schwierig macht, die Noten hinter den Formulierungen zu verstehen.
Bei der Positivskala sind zwei wesentliche Aspekte zu beachten:
- die Verwendung einer zeitlichen Komponente (Temporaladverb)
- der Einsatz von Superlativen und steigernden Adjektiven.
Verneintes Gegenteil
In der Zeugnissprache wird für besonders schlechte Bewertungen das verneinte Gegenteil verwendet.
Beispiel
Er war nicht unzuverlässig.
In Wirklichkeit bedeutet dieser Satz genau das Gegenteil: Der Mitarbeiter war unzuverlässig ("Er war unzuverlässig."). Als Faustregel kann daher das Wort "nicht" aus den Sätzen gestrichen werden, um die wahre Bedeutung des Satzes zu erfassen.
Relativierungen
Um mangelhafte Leistungen zu vermitteln, können spezifische Schlüsselbegriffe verwendet werden, die den positiven Gehalt des Satzes relativieren. Dadurch können Sätze, die auf den ersten Blick positiv erscheinen, durch den Einsatz solcher Schlüsselbegriffe eine erhebliche Abwertung erfahren. Im ungünstigsten Fall kann ein derartiger Satz mit "ausreichend" bewertet werden, in der Regel jedoch wird eine Bewertung im Bereich "mangelhaft" zugeordnet.
Beispiele
- Auch bei starkem Arbeitsanfall ist er bemüht, gute Arbeitsergebnisse zu erzielen. Belastbarkeit Note 5
- Er hat die Arbeitsanweisungen immer mit Interesse entgegengenommen.“ Leistungsbereitschaft Note 5
Weitere negative Schlüsselbegriffe in der Zeugnissprache sind: bemüht, bestrebt, Interesse, in der Regel, im Großen und Ganzen
Missverständliche Formulierungen
In der praktischen Anwendung der Zeugnissprache treten häufig Formulierungen auf, die zwar positiv gemeint sind, aber Raum für Spekulationen lassen.
Beispiel
Im Umgang mit Kunden bewies Sie psychologisches Geschick
Diese Aussage kann einerseits sehr positiv interpretiert werden, beispielsweise dahingehend, dass die Mitarbeiterin in der Lage war, gut mit schwierigen Kunden umzugehen. Allerdings könnten erfahrene Leser von Arbeitszeugnissen diesen Satz auch negativ deuten. Eine alternative Interpretation wäre, dass die Mitarbeiterin Kunden getäuscht hat, was zu einem Schaden für das Unternehmen führte. Bei der Auslegung solch mehrdeutiger Formulierungen ist oft der Gesamteindruck des übrigen Arbeitszeugnisses ausschlaggebend. Ein "selbstsicheres Auftreten" kann in Verbindung mit ansonsten positiven Formulierungen und Bewertungen als Hinweis auf einen selbstbewussten und argumentationsstarken Mitarbeiter verstanden werden. Hingegen könnte in einem ansonsten unterdurchschnittlichen Arbeitszeugnis die gleiche Formulierung auf einen problematischen Mitarbeiter hinweisen.
Um Missverständnisse zu vermeiden, sollten mehrdeutige Formulierungen vermieden werden, wenn eine positive Äußerung beabsichtigt ist. Die Gesamtwirkung des Zeugnisses spielt eine entscheidende Rolle bei der Bewertung solcher Formulierungen
Kurze Formulierungen
Kurz gehaltene Sätze können auf eine weniger positive Bewertung hinweisen. Ähnlich wie bei der Anwendung der Positivskala fehlen in knappen Formulierungen oft bewertende Adjektive, die verdeutlichen würden, dass es sich um eine wohlwollende Leistungs- oder Verhaltensbeurteilung handelt. Besonders eine Häufung von kurz gefassten Sätzen könnte den Eindruck erwecken, dass die Formulierungen oberflächlich sind, was als Geringschätzung des (ehemaligen) Mitarbeiters interpretiert werden kann.
Beispiel
Sie war verlässlich.
Verhalten Note 4
Dieser Satz ist äußerst knapp formuliert und gibt keinerlei Auskunft darüber, wann und in welcher Weise die Person als verlässlich eingestuft wurde. In diesem Fall lässt die kurze Formulierung nur eine negative Bewertung zu (Note 4).
Passivierung
Eine weitere gängige Methode besteht darin, passive Formulierungen zu wählen. Durch die Anwendung des Passivs wird suggeriert, dass die beschriebenen Erfolge nicht aufgrund der Handlungen des Beurteilten erreicht wurden. Wenn passive Formulierungen in einem Arbeitszeugnis häufig auftreten, wird dadurch das gesamte Zeugnis abgewertet, da der Eindruck entstehen kann, dass der Beurteilte nicht aktiv und aus eigener Motivation heraus zum Erfolg des Unternehmens beigetragen hat.
Beispiele für passive Formulierungen sind
- Hiermit bestätigen wir, dass...
- wurde eingesetzt.
- konnte überzeugen.
- wir haben sie als ... kennengelernt.
Positive Formulierungen könnten in diesen Fällen beispielsweise lauten:
Beispiele für positive Formulierungen
- Er war/ist
- er überzeugte
Eine Häufung von passiven Formulierungen führt zu einer Abwertung des gesamten Arbeitszeugnisses. Einzelne passive Formulierungen hingegen sind unproblematisch.
Widersprüche
Eine weitere Technik besteht darin, einen negativen Gesamteindruck zu verschleiern, indem vereinzelte positive Bewertungen eingestreut werden, die jedoch durch widersprüchliche negative Bewertungen ausgeglichen werden. In der Zeugnissprache tragen negative Formulierungen deutlich mehr Gewicht, sodass widersprüchliche Bewertungen in der Regel zu einer insgesamt schlechteren Beurteilung führen.
Wenn widersprüchliche Aussagen innerhalb eines Satzes auftreten, verhält es sich ähnlich. Kombiniert man sehr positive Teilsätze mit gleichzeitig negativen Teilsätzen, wird die Gesamtinterpretation des Satzes eher als durchschnittlich denn als sehr gut ausfallen.
Beispiel
Er erfüllte die ihm übertragenen Aufgaben stets zu unseren vollsten Zufriedenheit, auch seine Arbeitsergebnisse waren stets gut.
Gesamtleistung Note 2
Überbetonung von Nebensächlichkeiten
Durch das Hervorheben von selbstverständlichen Tätigkeiten und Leistungen kann eine negative Beurteilung entstehen. Dabei entsteht der Eindruck, dass dem Verfasser des Arbeitszeugnisses keine anderen positiven Aspekte eingefallen sind. Dies wird durch das folgende Beispiel verdeutlicht:
Beispiel
Herr Muster war eine außerordentliche Führungskraft, die stets mit den Mitarbeitern sehr gute Gespräche führte.“ Führung
In diesem Satz fehlt nicht nur eine Bewertung des Ausgangs oder Erfolgs der Gespräche, sondern auch die Tatsache, dass das Führen von Gesprächen ohne zusätzlichen Kontext eine alltägliche Aufgabe und somit nebensächlich ist. Dadurch wird die gesamte Tätigkeit und Leistung des Vorgesetzten in Frage gestellt.
Ähnliches kann bei der Beschreibung von Tätigkeiten der Fall sein. Das Zubereiten von gutem Kaffee mag höchstens für einen Barista als bemerkenswerte Aufgabe gelten. In allen anderen Fällen wird die Arbeitsleistung durch eine solche Aufzählung eher abgewertet.
Das Schweigen mit Bedacht
Im Unterschied zur Überbetonung von Nebensächlichkeiten stellt das beredte Schweigen, also das Weglassen von Informationen, eine subtile Methode dar, negative Bewertungen zu verschleiern. Im Gegensatz zu anderen Techniken werden hier Unzulänglichkeiten des Beurteilten durch das bewusste Auslassen von Details ausgedrückt. Statt das negative Verhalten gegenüber dem Vorgesetzten klar oder indirekt zu benennen, wird kein Wort über die Beziehung zwischen dem Beurteilten und dem Vorgesetzten verloren. Ein erfahrener Leser von Arbeitszeugnissen wird verstehen, dass es nur einen Grund gibt, das Verhalten gegenüber dem Vorgesetzten nicht zu bewerten: Es gab Probleme in der Beziehung und einen Konflikt.
Bei dieser Technik müssen auch die berufs- oder positionsbezogenen Eigenschaften berücksichtigt werden. Bei einem Vertriebsmitarbeiter sollte beispielsweise der Kontakt zu Kunden unbedingt erwähnt werden. Andernfalls lässt dies auf eine negative Bewertung schließen.
Es ist wichtig zu betonen, dass nicht jedes Auslassen von erwarteten Informationen zwangsläufig negativ interpretiert werden muss. Das Weglassen einer Beurteilung des Fachwissens sollte vermieden werden, bedeutet jedoch nicht automatisch eine mangelhafte Bewertung des Fachwissens. Hierbei muss generell das spezifische Berufsbild des Betreffenden berücksichtigt werden.
Formale Mängel
Obwohl diese Methode nicht direkt die Zeugnissprache betrifft, kann sie dennoch einen ähnlich negativen Eindruck hinterlassen. Wenn das Arbeitszeugnis nicht auf dem offiziellen Firmenbriefpapier gedruckt wurde, zahlreiche Rechtschreibfehler aufweist oder sich nicht an die standardisierte Struktur hält, wird dies als Ausdruck einer geringen Wertschätzung des Mitarbeiters interpretiert.